Sprungbrett ins Ungeplante

Kongresse brauchen mehr Überraschungen. Weil das Ungeplante lebendig macht – und manchmal zum schönsten Programmpunkt wird.

Sprungbrett ins Ungeplante

Kongresse sind wie gut geölte Maschinen: jede Pause geplant, jeder Vortrag getaktet, jeder Programmpunkt passt zum anderen. Das gibt Sicherheit, damit sich alle auf’s Thema konzentrieren können. Aber immer wieder gibt es Überraschendes, Ungeplantes, Situationen voll Gefühl. Wie gut. Wie spannend. Und ich? Ich bin mittendrin. Als SlamRecorderin warte ich auf das Ungeplante, suche das Ver-rückte, den Versprecher, den Moment, wo Menschen keine Maschinen sind.

Der Ablaufplan – mein Abenteuer

In der Vorbereitung liegt er im Email-Postfach: Der Ablaufplan. Wie auf einer Landkarte sind da sorgfältig aufgelistet: Grußworte, Keynotes, Panels, Workshops, Best Practise-Beispiele, Diskussionen im Plenum, Schlusswort, SlamRecording – mein Auftritt.
Ein schöner Plan. Ein beruhigender Plan. Der Weg ist klar.
Aber sobald das Grußwort sich verspätet, der Bürgermeister nicht im Film ist und die Ministerin zu lang redet, wird aus der Landkarte ein Flusslauf, der sich selbst den Weg bahnt. Ein Abenteuerroman in Echtzeit.

Und genau das macht mir Spaß. Denn da, wo Struktur ins Wanken gerät, wird Sprache lebendig. Wenn der Vortragende mahnt: „In puncto Niedrigschwelligkeit ist noch viel Luft nach oben!“ Dann bin ich manchmal die einzige, die lacht. Weil ich mir diese Schwelle vorstelle und wie wir alle darüber die Luft verringern, und beginne zu schreiben, denn diese Schwelle gibt den Raum frei für eine Geschichte – und manchmal ist es gerade die, die hängen bleibt.

Sprungbrett statt Vorbereitung

Mein Sprungbrett zur Vorbereitung ist tatsächlich nur dieser Ablaufplan. Mehr weiß ich nicht, mehr will ich nicht wissen. Ich springe direkt hinein mit einer Badekappe aus Vertrauen, das mir der Veranstalter gibt und meiner Nase knapp über der Wasserlinie.
Mehr habe ich nicht. Denn: Ich schreibe nichts vor. Ich verwende nichts zweimal. Ich bin nur da. Ich bin bereit.

Das heißt: Ich baue mir das Becken erst, während ich in hineinstarte. Wenn in puncto Niedrigschwelligkeit noch viel Luft nach oben ist, dann fliege ich schon und dann wird aus einem verqueren Satz eine Starterlaubnis, aus einer hakenden PowerPoint wird Poesie, aus Technosprech wird Technorap – alles unter meinen Händen auf der Tastatur.

Spontaneität ist kein Zufall

Klingt fast zu schön, um zufällig zu sein, oder? Aber letztendlich ist dieser Kunstflug kein wirklicher Zufall. Viele denken, Spontaneität sei das Gegenteil von Vorbereitung. Ich glaube: Sie ist ihr Resultat.
Nur wer genug weiß, um loszulassen, kann wirklich frei reagieren.
Der Sprung ist geübt, bei vielen Veranstaltungen – online, hybrid, analog. Aber der Moment, wenn ich fliege, das ist der schönste. Dann tanzt der Kongress als Wasserballett.

Wenn der Kongress tanzt

Es gibt Augenblicke, da merke ich: Jetzt ist alles im Fluss. Ein Vortrag fügt sich in den nächsten, ein Gedanke springt ins Publikum, jemand ruft genau an der richtigen Stelle herein – und plötzlich hat der ganze Saal Rhythmus.
Dann schreibe ich schneller, als ich denken kann, und fühle: Hier passiert gerade etwas Echtes. Kein Programmpunkt. Kein Output. Nur Begegnung, Verbindung, eine Story.

Und das ist das größte Geschenk meiner Arbeit: Ich darf Zeugin solch kleiner Revolutionen werden. Wenn Fachmenschen plötzlich poetisch werden. Wenn zwischen Diagrammen kurz Stille herrscht. Wenn jemand in der Kaffeepause mehr sagt als zwanzig PowerPoint-Folien.

Schwellenlos – mein Lieblingszustand

Und ich höre zu und schreibe mit. Und später zitiere ich diesen Satz, der erst so seltsam unplatziert scheint und in meinem Text doch einen Platz bekommt: Genau den richtigen Platz.
Denn Spontaneität entsteht nicht aus Druck, sondern aus Vertrauen.
Vertrauen darauf, dass der Moment selbst genug Material hat. Ich glaube, das ist auch das, was Kongresse brauchen – weniger Angst, den Plan zu verlieren, und mehr Lust, sich überraschen zu lassen. Vom Fahrtwind, den ein Gleitflug schafft.

Denn die besten Sätze – auf der Bühne wie im Leben – sind die, die keiner vorher geschrieben hat.
„In puncto Niedrigschwelligkeit ist noch viel Luft nach oben“.
Nehmen wir also die viele Luft unter unsere Flügel – und fliegen los. Über die Schwellen der Planung hinweg, hinein in den offenen Himmel des Moments.

HannaH Rau
www.slamrecording.de

Bild: pixabay