Eine Plakatwand auf der schemenhaft Personen zu erkennen sind. Darüber steht "STOP"

Wo ist denn jetzt die Geschichte? Oder: Was KI nicht kann

„Sagen, was ist“ – das klingt so einfach. Aber verstehen wir auch, was gemeint ist? Oder hören wir nur das, was unsere eigenen Rollen, Filter und Erfahrungen zulassen? Unsere Wahrnehmung ist geprägt von dem, was wir schon kennen. Das macht uns anfällig für blinde Flecken.

Sagen, was ist – und was dann?

„Sagen, was ist“ – das große Augstein-Wort. Für mich war das immer eine Erlaubnis. Ich konnte nie gut meine Klappe halten, wenn etwas nicht stimmte oder etwas Unerwartetes passierte. Nicht selten brachte mir genau das Stress ein.

Ich bin, was ich sage

„Sagen, was ist“ – das klingt so einfach. Aber verstehen wir auch, was gemeint ist? Oder hören wir nur das, was unsere eigenen Rollen, Filter und Erfahrungen zulassen?

Unsere Wahrnehmung ist geprägt von dem, was wir schon kennen. Das macht uns anfällig für blinde Flecken. Auch eine KI kann das nicht lösen – sie antwortet auf Grundlage der Informationen, mit denen sie gefüttert wurde. Und diese spiegeln wiederum nur ein bestimmtes Weltbild wider.

Was kann die KI also nicht?
Empathisch verschiedene Welten verbinden.
Das können nur wir Menschen – wenn wir es wollen.
Die Künste können das, im Spiel, in der Abstraktion. Wenn es gelingt, spüren wir das: Es kribbelt, wir halten inne, etwas verbindet sich, wenn auch nur für einen Moment. Aber dieser Moment bleibt.

Das ist meine Aufgabe bei künstlerischen Interventionen – etwa beim SlamRecording:
Wach bleiben für die Verbindung.
Sagen, was ist.
Auch, wenn es gegen Konventionen spricht.
Auch, wenn es nicht in die Bubble passt.


Sprachlos mittendrin

Eine große Konferenz zur neuen Behindertenrechtskonvention. Viele Fachleute, viele Betroffene. Ein beeindruckendes, barrierefreies Setting: Bühne zugänglich, Gebärdendolmetscherin, Untertitel. Ich bin beeindruckt. Ich notiere viel. Ich freue mich.

Dann ein Highlight: Ein Professor interviewt zwei Studentinnen mit starken Behinderungen zu ihrem Forschungsprojekt. Eine kann ich gut verstehen, die andere kaum – ihre spastische Lähmung erschwert die Aussprache. Ich höre einzelne Worte, versuche, aus dem Kontext zu schließen, bleibe aber außen vor.

Erst bin ich unsicher, dann wütend.
Wütend, weil ich nicht mitkomme.
Wütend, weil ich es doch verstehen müsste – immerhin soll ich später darüber schreiben.

Nicht verstehen zu können, macht wütend. Ich fühle mich ausgeschlossen. Wie ein Kind am Spielfeldrand, während die anderen spielen.

 

Vor der unsichtbaren Tür

In der Pause gehe ich herum, frage Menschen an Stehtischen, beim Rauchen:
„Konnten Sie alles verstehen?“ – „Nee, ging mir genauso.“ Schulterzucken, Lachen.
„Und was machen wir jetzt?“
Keine Ideen.

Ich merke: Vielen ging es wie mir. Aber niemand spricht darüber. Weil man niemanden verletzen will. Weil man nichts falsch machen will. Weil man nicht als unsensibel gelten will.

Und ich frage mich: Darf ich das?
Darf ich thematisieren, dass ich etwas, dass ich eine Person aufgrund ihrer Behinderung nicht verstanden habe?
Ist das übergriffig?
Ist es in Ordnung, zu sagen: „Ich war draußen. Ich kam nicht mit“?

 

Es öffnet sich ein Spalt oder „The Crack, where the Light gets in“

Ich sitze wieder im Plenum, grübele. Ich fühle mich, als wolle ich einer Blinden sagen, dass sie etwas übersehen hat. In mir wächst der Wunsch, es dennoch anzusprechen – vorsichtig, ehrlich.

Ich bin mitten im Thema. Inklusion. Teilhabe.
Und ich bin nicht dabei. Ich fühle mich diskriminiert.
Was für ein Scheißgefühl.
Aber: Genau darum geht es doch.
Da ist sie – die Geschichte.

 

Gehen wir rein

Am Ende der Tagung darf ich auf die Bühne. Ich erzähle vom Tag. Kleine Beobachtungen, lustige Details. Dann kommt der Moment, der mich aus der Bahn geworfen hat. Ich erzähle davon. Offen, unsicher, direkt:

„Dann kam das Interview. Ich habe Dich nicht verstanden. Ich konnte nicht nachfragen. Ich war raus. Ich wurde wütend, weil ich raus war. Aber ich konnte nichts tun.
Und dann dachte ich: Genau so geht es Euch wahrscheinlich ständig – an Treppen, an Texten, an sprachlichen Schwellen.
Und ich dachte: Das darf ich nicht vergessen.
Ich danke Euch für diesen Moment. Er hat mir die Augen geöffnet.
Und ich glaube: Der Schlüssel liegt im Fragen. Im Miteinander. Auch wenn es manchmal unangenehm ist.“

Die Studentin lacht. Herzlich.
Mir fällt ein Stein vom Herzen.
Und im Publikum – eine Pause, dann: Verbindung.
Ein Moment, den ich mir für jede Veranstaltung wünsche.
Ach was – für jede Begegnung zwischen Menschen.

Später frage ich die Studentin, ob das so in Ordnung war. Sie grinst:

„Ich weiß, dass ich manchmal schwer zu verstehen bin. Aber fast niemand fragt mehr nach. Die Leute haben Angst, was falsch zu machen.“

Geschichten öffnen Räume – Was KI nicht kann

Solche Momente entstehen nicht aus Algorithmen. Sie entstehen im Ringen, im Fragen, im Menschsein.
Vielleicht ist das die Geschichte, die wir viel öfter erzählen sollten.
Weil sie verbindet. Und weil sie bleibt.

HannaH Rau